Leben · Schreiben

Lügenpresse oder: Journalismus meets Comedy

Letzte Woche waren wir mal wieder im Kabarett und haben einen neuen – wie es so schön auf neu-denglisch heißt – Comedian kennengelernt: Jörg Schumacher, seines Zeichens Journalist, gelernt bei der Bild-Zeitung, was er auch nicht verleugnet, inzwischen umgesattelt auf Kleinkunst. Sein aktuelles Programm heißt »Lügenpresse«, und wir gingen zugegebenermaßen recht vorbehaltlos in diesen Abend – der Mann war uns bis dato völlig unbekannt.

Ein Journalist als Comedian

Jörg Schumacher hat seinen Job als Journalist an den Nagel gehängt und macht jetzt in Comedy. Das verspricht einiges, gerade im Hinblick auf politisches Kabarett, wobei das mit dem Background der Bildzeitung sicherlich schwierig ist, aber warten wir mal ab.
Das Takelgarn in Düsseldorf ist ein kleines feines Theater und bietet Newcomern eine recht private Bühne – das ganze mutet eher wie ein Wohnzimmer mit Vorhang an. Aber das muss nicht schlecht sein, wir haben hier schon einige Leute »entdecken« dürfen, die man inzwischen aus dem Fernsehen kennt. Auch bei Jörg Schumacher ist dieser Weg vorstellbar, ob zum Guten oder zum Schlechten wird sich zeigen.

Vor der Pause

Die erste Hälfte des Programms war – sagen wir es, wie es ist – enttäuschend. Eigentlich war es ein in die Länge gezogenes Intro, ein Warm-up, das bis zur Pause nicht aufgehört hat. Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, dass Herr Schumacher mit seinem Programm beginnt. Aber nein, er erging sich in uralten Witzen, geklauten Gedichten und grottenfalscher Recherche, was jemandem, der den Unterschied zwischen Journalismus und Bloggertum an der Recherche festmacht, einfach nicht passieren darf.
Also sorry Mr. Schumacher für den Einwurf aus dem Publikum, dass Influenza von Viren und nicht von Bakterien hervorgerufen wird. Das brachte mir im Lauf des Abends einige Seitenhiebe gegen Ärzte im Allgemeinen und Tierärzte im Speziellen ein, aber gut. Damit hätte ich rechnen können. Trotzdem konnte ich da nicht schweigen.

Nach der Pause

In der zweiten Programmhälfte begann sich endlich die Erwartungshaltung zu erfüllen. Es ging um Journalismus, Jörg Schumacher plauderte aus dem Nähkästchen, und das tat er ausgesprochen gut. Es war gar nicht so sehr gewollt lustig oder übertrieben witzig. Nein, er wusste offensichtlich, wovon er sprach, und es war einfach klasse.
Da ging es zum Beispiel um einen Chefredakteur, der mal eben die Ausrichtung eines Artikels ändert, weil er sein privates Hobby stört. Das erinnert frappant an einen österreichischen Landeshauptmann, der anno seinerzeit die Listenhundeliste um die von ihm gehaltenen Dobermänner erleichterte. Aber vielleicht ist auch das nur Lügenpresse, wer weiß das schon.

Journalismus und Tante Rosi

Aber tatsächlich ging es um etwas ganz anderes, nämlich um nicht weniger als um das Berufsbild eines Journalisten: Ein Journalist lebt von Geschichten. Er muss sie finden, er muss ihr Potenzial erkennen und er muss die Hintergründe recherchieren. Oft genug passiert dann nämlich das, was keiner weiß: Es gibt gar keine Geschichte.
Die Mär vom DHL-Boten, der nie klingelt, sondern nur Zettel hinterlässt, ist so ein Fall. Lässt sich der systematische und nervende Betrug am Kunden denn auch belegen? Und wenn ja, wie? Oder ist es doch nur ein Einzelfall, der sich bis zur Publikation eines wie auch immer recherchierten Artikels schon längst in den Gefilden von Hartz IV aufgelöst hat? Ist das am Ende eine ganz andere Geschichte?
Deshhalb: Warum in drei Teufels Namen sollte ein Journalist eine aufwändig recherchierte Geschichte in den Lokus kippen, nur um dem Klischee der Lügenpresse gerecht zu werden? Würde ein Metzger schlechte Würste verkaufen, oder ein Bäcker steinharte Brötchen? Nein, bestimmt nicht. Und ebenso unrealistisch ist der Gedanke, ein Journalist, dessen Beruf die Recherche, das Investigieren ist, würde eine gute Geschichte einfach hintanhalten. Tut er nicht.

Die gute Geschichte

Doch was macht eine „gute“ Geschichte aus? Was ist es, das den Leser packt und mitreißt?

  • Der Störfaktor
    Sie muss den Alltag des Lesers stören und im wahrsten Wortsinn verstörend sein.
  • Der emotionale Faktor
    Sie muss packen, sie muss bewegen, sie muss rühren.
  • Der Jetzt-Faktor
    Sie muss aktuell sein. Gestern, besser heute, und am besten live.
  • Der Identifikationssfaktor
    Der Leser muss sich mit der Geschichte identifizieren können. Das, was da steht, könnte auch mir passieren.

Hat ein Journalist solch eine Geschichte gefunden, wird er zum Jagdhund, zum Bluthund. Er wird sie nicht einfach fallen lassen, und erst recht nicht, wenn ein anderer ihm sagt, er solle genau das tun. Eher wird er sie an den meistbietenden bei der Konkurrenz verkaufen.

Und was hat das mit Autoren zu tun?

All das gilt auch für das, was Autoren schreiben, also für ihre Bücher:
Eine Abhandlung über Tante Rosi, die einkaufen geht, funktioniert nur, wenn dabei etwas passiert, das den Leser entweder aus seiner alltäglichen Bahn wirft oder womit er sich identifizieren kann. Über normale Menschen, denen nichts Außergewöhnliches passiert, will keiner etwas lesen.

Ein schönes Beispiel ist »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand« von Jonas Jonasson. Was sich im Titel noch halbwegs alltäglich anhört, wird recht schnell zu einem abstrusen Roadmovie mit Mafia-Hintergrund samt einer guten und sehr witzigen Portion erlebter Zeitgeschichte. Überraschung pur und nicht umsonst 31 Wochen lang auf der Spiegel-Bestsellerliste.

Und Jörg Schumacher?
Der Mann hat Potenzial und ich bin definitiv interessiert an dem, was er in Zukunft noch bringen wird. Wenn er mit einem neuen Programm nach Düsseldorf kommen sollte, dann werde ich mir das sicherlich ansehen. Immer vorausgesetzt er spielt nicht in der Tonhalle, denn dort ist die Akustik mies.

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